"Wenns einer kann, ist es keine Kunst. Wenns einer nicht kann ist es auch
keine Kunst."
Diese anonyme Münchner Akademieweisheit macht den Auftakt zu meinen Gedanken
zur Ausstellung von Joseph Briechle hier in der Volksbank Hochrhein in Waldshut.
Was heisst eigentlich: wenns einer Kann? Was meint Kunstmachen können?
Die Kunstwissenschaft hilft weiter: Historisch gesehen präsentiert sie
unterschiedliche Rezepte, bezeichnet andere Kriterien für gelungene Kunst,
abhängig von den Faktoren Stil, Zeit und Kunstgattung (also Malerei, Zeichnung,
Skulptur, Druckgrafik und andere mehr).
Im Barock - denken sie an Gian Lorenzo Bernini - steht der Formwille an
erster Stelle. Nicht so im Impressionismus: Versuchen Sie sich ein
Landschaftsgemälde von Claude Monet im inneren Auge vorzuführen:
Impressionismus meint vor allem neue Formgebung, mit entscheidender Wichtigkeit
der Lichtführung mittels Farbauftrag. Der Expressionismus - Ernst Ludwig
Kirchner z.B. - verstärkt die Farbregie bis zu einem gewissen Grad mithilfe von
formalen Gewichtungen. Im abstrakten amerikanischen Expressionismus - das
betrifft als Beispiel die "all over paintings" von Jackson Pollock - gilt der
Zufall als erste Orientierung.
Ich will damit ausdrücken, dass keine sinnvolle Beurteilung von Kunst
vorgenommen werden kann, ohne die Marker Geschichte, Entwicklung, Material,
Aussage und Künstlerpersönlichkeit zu beachten und im entsprechenden Fall
adäquat zu gewichten. Erschwerend kommt dazu, dass fixe Kunststile, welchen die
Künstler sich zuordnen lassen, heute nicht mehr vorhanden sind. Mehrheitlich hat
in der Kunstwelt heute jeder seinen eigenen, originären Stil. Die eben erwähnten
Marker zu gewichten meint , ins Zentrum zu stellen, welche werkimmanenten
Elemente oder Inhalte der Künstler oder die Künstlerin sich zum Thema gemacht
hat. Die müssen aufgespürt werden und dann erst ist erlaubt zu urteilen, ob der
Künstler oder die Künstlerin das beherrscht, entwickelt, zum Höhepunkt gebracht
hat, was er oder sie sich als zu bewältigende Aufgabe gestellt hat. Dann können
wir - in Angleichung an die Akademieweisheit, mit welcher ich meine Worte
eingeleitet habe - festhalten: es ist Kunst wenn einer in der Kunst das kann,
was er können will.
Was will Joseph Briechle können und würden auch wir sagen dass er es kann?
Sehen wir uns nun in der Halle erstmal um und sammeln wir: Dominiert wird der
lichte, tagsüber helle grosse Inneraum von einem wolkenartigen flachen Gebilde
mit Öffnungen aus bearbeitem und bemaltem Holz. Solche Wolken, jedoch dunkle,
sind im Parterre noch in zwei weiteren Varianten zu sehen. Im ersten
Obergeschoss wurden schwarze, im zweiten weisse Arbeiten plaziert.
Das verwendete Holz - von Fall zu Fall Tannenholz oder Pappelholz - ist der
Bildträger, spielt hingegen auch als inhaltliches Element eine Rolle. Briechle
bearbeitet das Holz mit dem Steckbeitel und holt so die Strukturen, Linien,
Musterungen hervor. Die flachen Formen werden mit Spachtelmasse, genannt Stucco,
akzentuiert.
Nun - was bedeuten die Formen in Briechles Werken? Lehnen sie sich an die
sichtbare Wirklichkeit an oder sind Sie "nur" - in Anführungs- und
Schlusszeichen - Formexperimente, in welchen die Gewichtung der Flächen zentral
wäre?
Stilistisch ist Briechles Kunst zwischen Abbild und Abstraktion einzuordnen,
wobei der Impuls aus Eindrücken aus der Natur kommt, die dann weiterverarbeitet
werden. Die sinnlichen und wahrnehmungstechnisch stark beeinflussenden
Musterungen von Geflechten aller Art, Verstrebungen in Flussmündungen,
ausgetrockneten Wüstenboden und geologischen Schichtungen bilden dabei
Ausgangspunkt und Basis.
Danach erfolgt die Abstrahierung, die sich verselbständigt und eine neue
Qualität des Sehens begründet. Dezente und dennoch poinierte Aussagen werden
damit erreicht. Das Können - denken Sie an unser Kunstmachenkönnen - lässt sich
benennen: visuelle Vorgaben werden durch die richtige Farb- und Formwahl - und
die Herstellungstechnik in neue, eigene Bildwiklichkeiten übergeführt. Auf den
Punkt gebracht: Natur gesehen - Bilder verinnerlicht - im Kunstwerk
transformiert. Der Schweizer Kunstkritiker Peter Killer schrieb: Es geht in der
Kunst auch um die Veräusserlichung von nach Innen genommenen Bildern der
äusseren Wirklichkeit.
Ob ein solcher Vorgang der Transformation und Neukreation jeweils gelingt, hängt
von den Fähigkeiten des Künstlers ab: er müsste fähig sein mit seiner Kunst
nicht zu plakativ und dennoch nicht zu abbildlich zu werden, also sich nicht
zu nah am Erkennbaren aufzuhalten aber sich gleichwohl nicht zu weit vom
Fassbaren zu entfernen.
Briechle hat diesen Spagat geschafft. Mehr noch: er hat die individuelle,
einzigartige Lösung kreiert - sie macht das Wesen seiner Kunst aus. So fällt
auf: das Bild, respektive die Skulptur bleibt immer genau in einem inneren
Mittelpunkt, in einem zentrierten Kraftfeld. Immer stützt sich das Werk selbst.
Parallelen sehe ich durchaus zu Eduardo Chillida, der in seinen Skupturen
Organisches konzentriert, Exzerpte bildet , tranformiert und neu gebiert.
Der ausserordentliche Sinn Briechles zur Gleichgewichtung und somit zur
Harmonisierung bei gleichzeitigem Beibehalten der interessanten Formspannungen
und Bildtexturen erst ermöglicht solche Kunstwerke, wie wir sie hier sehen.
Ich kann sie eindeutig als vollkommen bezeichnen.
Was meine ich mit vollkommen?
Salvador Dali schrieb, dass folgende Elemente in maximaler Qualität zum Einsatz
gekommen sein müssen oder/und erkennbar sein sollten, wenn ein Kunstwerk sich
selbst genügt und vollkommen ist. Ich benenne diese Elemente und beziehe sie nun
gleich auch auf Josef Briechles Werke hier in der Volksbank Hochrhein:
Handwerk und ich urteile: gekonnt
Inspiration Urteil: Interessante und ergiebige Quellen
Farbe Reduziert, ermöglicht Konzentration. Couleur stimmig
Zeichnung Die "Zeichnung" des Bildes, die Linien- und Umrahnungstechnik
der Formen
überzeugend
Genialität Ansätze spürbar. Ein Ziel mit vielen Hürden - für alle
Künstler
Komposition Perfekt
Originalität 100%
Echtheit Glaubwürdiger, innerer Drang zur künstlerischer Schöpfung im
Werk
erkennbar
Geheimnis jedes von Briechles Kunstwerke behält letzlich sein Geheimnis
und
ist Magie.